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F(l)achjargon – von beruflichen Phrasen und Plattitüden

To be honest, wann hatten Sie das erste Mal fünf Prio-1-Topics auf dem Desk und haben sich trotzdem zunächst auf die Low Hanging Fruits fokussiert? Und wann genau haben Sie angefangen, Herausforderungen aktiv zu adressieren, statt Probleme anzugehen?

Wem jetzt schon der Kamm schwillt oder wer nun ängstlich hinter der Gardine auf die Straße schaut, um zu sehen, ob die Sprachpolizei bereits vor der Tür steht, für den lohnt sich dieser Blog-Beitrag in jedem Fall. Für alle anderen natürlich auch. Denn es geht um Fachjargon und wirksame Kommunikation. Und so viel sei schon verraten: Beeindruckungsrhetorik bzw. Business Bullshit gehören nicht dazu. Das ist wissenschaftlich belegt. Doch bevor wir ins Detail gehen, noch eine kurze Begriffsklärung.

Es geht wie gesagt um Fachjargon. Jargon meint grundsätzlich eine Sondersprache, die durch Beruf, Stand oder Milieu geprägt ist. Im beruflichen Kontext haben Mediziner:innen, Tischler:innen, Jäger:innen usw. ihren eigenen Fachjargon. Er wird vor allem bestimmt durch Fachbegriffe. Bei einigen Berufsgruppen (z. B. Jurist:innen) kommen noch sprachlich-stilistische Besonderheiten hinzu (die in Sachen Verständlichkeit aber weder rühmlich noch förderlich sind. Doch dazu später mehr). Fachbegriffe sind gut für Expert:innen, denn sie sind äußerst präzise. Manche sind sogar aussagekräftiger als ihre sprachlich vereinfachten Formen. Für Naturwissenschaftler:innen ist z. B. eine semipermeable Membran mehr als nur eine halbdurchlässige Membran. In der Biologie verbirgt sich dahinter ein ganzes System bzw. funktionelles Konzept.

 

Sofias Vorschlag, die Schlafenszeiten der Kinder neu zu denken und die Wochenenden entlang ihrer Bedürfnisse auszurichten, um so ihr Entwicklungspotential besser zu adressieren, ließ nicht nur die fünfjährige Lena ratlos zurück.

Business-Blender
Neben den „echten“ Fachsprachen gibt es die milieugeprägten Jargons. Besonders großen Einfluss auf unsere Alltagssprache haben Milieus wie Projektmanagement, Wissenschaft, Führung oder Pädagogik. Vieles von dem, was hier geschwafelt und gelabert wird, hat reine Blenderfunktion. Es sind sprachliche Nebelkerzen, die über Nichtwissen, Inkompetenz oder mangelnden Erfolg hinwegtäuschen und die eigene Person herausstellen sollen. Entsprechend strategisch ist die Motivation, regelmäßig ins Business Bullshit zu verfallen.

Weniger vorsätzlich, aber dafür verbreiteter ist der zweite Weg, um in die berufliche Bullshit-Falle zu geraten. Die meisten von uns rutschen fast unbemerkt hinein. Es ist der tägliche, milieubedingte Wandel von Sprache – also Spracherwerb durch betriebliche Übung. Auf einmal wollen wir „aktiv in die Bewegung kommen“, ist „Nachhaltigkeit Teil unserer DNA“ oder haben wir versehentlich aufs Sofa „innoviert“. Was wir da für einen Müll reden, merken wir erst wieder außerhalb dieser (sprachzersetzenden) Milieus. Unverständliche Blicke, genervtes Augenrollen oder ein mitleidiges Lächeln nach Feierabend zeigen uns, dass wir wieder im Alltagsleben angekommen sind. Hier, an der Edeka-Kasse oder bei den Liebsten daheim dominiert die Sprache der Normalsterblichen. Außerhalb des Büros lassen sich unsere sprachlichen Entzugserscheinungen höchstens durch eine Dosis Bullshit bei LinkedIn lindern – abends, heimlich, unter der Bettdecke, damit es der Partner und die Kinder nicht mitbekommen.

Auch beim Business Bullshit gilt: Die Dosis macht das Gift. Wer für mindestens 8 Stunden am Tag, 5 Tage die Woche mit Phrasen zugedroschen wird, kann das in der sprachlosen Paarbeziehung daheim oder beim Wochenendangeln mit dem besten Kumpel schon quantitativ nicht mehr kompensieren. Dazu kommt die besondere toxische Wirkung des Business-Jargons: Er ist ein süßes Gift. Wir müssen keine strategischen Blender oder Täuscher sein, um Gefallen daran zu finden. Jargon hat eine soziale Funktion, ist ein Zugehörigkeitsmerkmal. Menschen, die die gleiche Sprache sprechen, gehören zusammen. Das gilt nicht nur für Orte, Tätigkeiten oder Berufe, sondern auch für Hierarchie-Stufen. Mit der richtigen Sprache gehöre ich dazu – oder eben nicht. Dumm nur, wenn ausgerechnet der Jargon, der mich in Kaste und Kompetenz (vermeintlich) als etwas Besseres ausweist, dazu führt, dass ich unglaubwürdig, unsympathisch und sogar inkompetent wirke. Nicht möglich? Doch, wie die folgenden Erkenntnisse zum Thema Business-Jargon zeigen.

Geschäftsjargon wirkt unprofessionell
Führungskräfte, die häufig Geschäftsjargon (= Business-Floskeln) verwenden, wirken auf Dritte weniger glaubwürdig und sympathisch. Vor allem aber wirken sie weniger kompetent, wie eine Studie der Uni Erlangen-Nürnberg zeigt. Wem es darauf ankommt, am Ende des Tages mit seinem Team die richtige Flughöhe zu erreichen, um zeitnah eine steile Lernkurve hinlegen zu können, der erscheint unprofessionell. Dieser Eindruck verstärkt sich sogar noch beim Gebrauch englischer Business-Phrasen. Führungskräfte machen es also nicht besser, wenn Sie die Extra Mile gehen, um erfolgreicher delivern oder performen zu können.

Einfach zu schreiben zahlt sich aus
Einrichtungen und Unternehmen, die verständliche Rechenschaftsberichte erstellen, wecken das Interesse von Fachleser:innen und Investor:innen. Eine verständliche und direkte Sprache erleichtert auch fachlichen Zielgruppen die flüssige Verarbeitung von Informationen. Flüssige Verarbeitung ist dabei ein in der Psychologie und Neurowissenschaft verwendetes Maß für die Lesbarkeit von Texten. Jahres- oder Rechenschaftsberichte in komplexer Sprache und mit viel Fachjargon führen zu einer mangelhaften Verarbeitung, wie Kristina Rennekamp, Professorin für Rechnungswesen an der amerikanischen Cornell-Universität nachweisen konnte. Sie untersuchte die Folgen schlechter Rechenschaftsberichte von Finanzunternehmen. Je verständlicher diese geschrieben waren, desto mehr Investor:innen lockten sie an. Zudem sanken die Kosten für Fremd- und Eigenkapital und konnten die Unternehmen Geld und Zeit bei den Prüfungen sparen.

„Fach- und Fremdwörter tragen dazu bei, dass wir uns weniger mit einer Sache oder einem Thema identifizieren.“

Fachbegriffe erschweren das Verständnis
Eine amerikanische Studie ergab: Selbst Wissenschaftskommunikation sollte so weit wie möglich auf Fachjargon (= Fachbegriffe) verzichten, wenn sie sich an ein fachunkundiges Publikum richtet. Fachbegriffe erschweren es, wissenschaftliche Informationen zu verarbeiten. Das gilt selbst dann, wenn sie erklärt werden (z. B.  im Text oder in einem Glossar). Der negative Einfluss von Fachsprache reicht sogar über Verständnisprobleme hinaus. Fach- und Fremdwörter tragen dazu bei, dass wir uns weniger mit einer Sache oder einem Thema identifizieren. Die Studie der Ohio State University kommt sogar zu dem Schluss, dass Fachjargon die soziale Identifikation mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft beeinträchtigt, was sich grundlegend negativ auf das wissenschaftliche Interesse der Menschen auswirkt.

Auch in Fachkreisen ist weniger Fachjargon mehr
Die gerade beschriebenen Studienergebnisse beziehen sich auf ein nicht fachkundiges Publikum. Es geht also um den Wissenstransfer gegenüber Laien. Viele meiner Projektpartner:innen glauben, dass entsprechende Erkenntnisse aus der Psychologie oder den Sprachwissenschaften nichts mit den Zielgruppen ihrer Kommunikation zu tun hätten. „Unser Positionspapier richtet sich an Entscheider:innen eines Fachressorts, also Expert:innen“, höre ich da zum Beispiel.

Das mag sein. Aber deswegen sollte ich als Autor:in komplexe Themen trotzdem verständlich darstellen. Entscheider:innen sind nämlich nicht gleich Expert:innen. Zur Gruppe der Laien zählt nicht nur Lieschen Müller von nebenan. Auch Medien und die breite Öffentlichkeit gehören dazu, ebenso wie die meisten Entscheider:innen in Politik oder Verwaltung. Zur Illustrierung: Im gesamten Apparat unserer aktuellen Bundesregierung haben nicht einmal 5 Prozent der Leitungskräfte ein naturwissenschaftlich-technisches Studium. Auf Entscheidungsebene kümmern sich in unserem Land vor allem Politik-, Geistes- und Rechtswissenschaftler:innen um Themen wie Wirtschaft, Verteidigung, Umwelt, Verkehr oder Landwirtschaft. Sie alle sind nicht vom Fach, debattieren, entscheiden, philosophieren und halluzinieren aber über Klima-, Energie-, Verkehrs- oder Umweltthemen.

(Wer sich an dieser Stelle hinstellt und ernsthaft argumentiert, es würde völlig ausreichen, wenn Entscheider:innen eine vernünftige Sachbearbeiter:innen-Ebene hätten, die ihnen zuarbeitet, der sei auf die teils abstrusen, naiven und auch wissenschaftsignorierenden Aussagen von Politiker:innen zu Themen wie Klima und Umwelt verwiesen. Was da an weltanschaulichen Überzeugungen und (privat)wissenschaftlichen Konzepten zutage kommt, hat mitunter Vorschulniveau.)

Halten wir fest: Erkenntnisse aus den Sprach- und Kognitionswissenschaften gelten auch für Führungskräfte. Sie verstehen komplexe Zusammenhänge nicht deswegen besser, weil sie eine Führungsposition innehaben. Im Gegenteil: Für sie ist es sogar noch wichtiger, verständlich informiert zu werden – als Grundlage für fundierte Entscheidungen und nicht zuletzt, um peinliche Gesprächs- oder Interviewsituationen zu vermeiden.

 

Die Präsentationen von Arndt Schmidt waren legendär. Hatte sich der Rauch seiner rhetorischen Nebelkerzen aber erst einmal verzogen, blieb immer die Frage, wer er eigentlich war und was er überhaupt in diesem Unternehmen machte.

Selbst Jurist:innen mögen keine Juristensprache
Vor einigen Jahren wurde ich vor dem Fachlektorat eines Buches von einem der 12 Autor:innen angeschrieben. Es handelte es sich um einen Juristen. Er informierte mich darüber, „dass er nicht lektoriert werden wolle“. Es gäbe keine präzisere Sprache als die juristische und deswegen solle ich sein Kapitel nicht bearbeiten. Meine Antwort darauf war kurz: Er habe völlig recht. Allerdings gebe es auch keine unverständlichere Sprache als die juristische und deswegen werde auch sein Kapitel lektoriert. Den Inhalt der darauf folgenden E-Mails gebe ich hier lieber nicht wieder.

Glücklicherweise sind wir ein paar Jahre weiter. Mittlerweile verstehen selbst Jurist:innen nicht mehr, warum Rechtsdokumente so kompliziert sein müssen, wie sie es in der Regel sind. Eine Studie der University of Chicago konnte zeigen, dass Anwält:innen genauso wie Laien Schwierigkeiten damit haben, in Juristensprache verfasste Texte zu verstehen. Sie konnten sich später auch nur schlecht an einzelne Inhalte erinnern. Und mehr noch: Bei der fachlichen Einschätzung stuften die Anwält:innen vereinfachte Verträge als ebenso durchsetzbar ein wie Verträge in juristischem Fachjargon. In gleich mehreren wichtigen Punkten bewerteten sie die vereinfachten Verträge sogar als besser. Die Wissenschaftler:innen der Studie kamen zu dem Schluss, dass Jurist:innen eigentlich nur aus Tradition und Bequemlichkeit so kompliziert schreiben. Sowohl für Juristen als auch Nichtjuristen sei es gleichermaßen vorteilhaft, wenn Rechtsdokumente in Stil und Sprache vereinfacht würden.

Fazit
Mit Ausnahme von Fachbegriffen gibt es keinen Grund, im Beruf anders zu sprechen als im Privatleben. Mit dem Business-Jargon hat sich etwas entwickelt, das vor allem darauf abzielt, zu beeindrucken, zu täuschen und zu vernebeln. Wer seinen Job macht und fachlich kompetent ist, der muss sich nicht sprachlich aufblähen. Kolleg:innen und Führungskräfte, die sich am stärksten an berufliche Phrasen oder Plattitüden klammern, definieren sich auch am meisten darüber – statt über Inhalte, Persönlichkeit oder fachliches Können.

Wer wirklich etwas erreichen oder verändern will, wer Menschen mitnehmen oder sogar führen will, der muss sich verständlich machen. Mit Business Bullshit gelingt das nicht. Unverständliche Sprache ist weder ein Merkmal guter Arbeit noch guter Führung.